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PAGE 10.2001: ScientifiCreation

Diagramme, Koordinaten, wissenschaftlich anmutende Symbole – nicht wenige Web-Designer bedienen sich spielerisch der Ästhetik der Infografik. Alles nur schöner Schein oder steckt mehr dahinter?

Interaktive Infografiken sind heute Standard. Aber wie sah das eigentlich vor zehn Jahren aus? Ein Artikel aus PAGE 10.2001 zeigt: Die Webdesigner liebten Infografiken, meist aber nicht um ihrer Funktion, sondern um der puren Ästhetik willen. Was es mit dem schönen statistischen Schein anno 2001 auf sich hatte, lässt sich in unserem damaligen Artikel »ScientifiCreation« nachlesen. Wir haben ihn hier noch einmal online gestellt.

Eigentlich paradox: Ausgerechnet Flash-Designer, denen Funktionalitätsverfechter nachsagen, sie würden ih­ren Mitmenschen ohne Sinn und Zweck die Zeit stehlen, scheinen hin und wieder geradezu verliebt in die kühle Eleganz schematischer Darstellungen. Woher kommt die Faszination des pseudowissenschaftlichen, pseudofunktionalistischen Looks, in dem sich einige der ästhetisch anregends­ten Internet-Sites präsentieren?

Da ist zum Beispiel der Web-Auftritt der mit vielen inter­nationalen Auszeichnungen bedachten Designagentur von Marc und Chantal Cansier [der 2011 natürlich einen ganz anderen Look hat …]. Auf der Startseite steht eine Grafik, die wie eine anatomische Darstellung des menschlichen Herzens aussieht. Klickt man weiter, verwandeln sich die organisch gerundeten Formen in rechtwinklige Flä­chen, die an eine schematische Landkarte erinnern. Beim nächs­ten Klick schweben die Flächen in einem von Koordinaten strukturierten dreidimensionalen Raum und scheinen Statistiken zu visualisieren. Das Portfolio der beiden Designer schließlich präsentiert sich wie eine Hochhausstadt aus Säulendiagrammen.

Die beiden in Hongkong arbeitenden Franzosen, die für Kunden aus aller Welt Grafik-, Multimedia-, Bewegtbild-, Ausstellungs- und Interior-Design realisieren, wählten diesen Look, um ihren interdisziplinären Gestaltungsansatz zu kommunizieren. »Die 3-D-Umgebungen etwa entstanden aus der Zusammenarbeit von Multimedia- und Interior-Designern, die sie zuerst in einer 3-D-Software erstellten und anschließend in Flash übertrugen«, erklärt Marc Cansier. Aber die Aufgabe habe hier lediglich in der Gestaltung einer Oberfläche bestanden, fügt er hinzu. »Wenn wir an echtem Informationsdesign arbeiten, soll es meist alles andere als wissenschaftlich wirken.«

Von 2-D zu 3-D: Der Internet-Auftritt von marc & chantal design aus Hongkong zitiert den Look diverser Genres von Infografiken  und deutet so an, wie vielseitig das Leistungsspektrum der Designfirma ist


Warum greifen Gestalter gerade dort so gern zu Infografiken, wo es eigentlich gar nicht darum geht, harte Fakten zu vermitteln? Marc Cansier hat dazu eine Theorie, die die Gemüter sicher nicht kalt lassen wird. »Designer suchen noch nach ihrem Platz und nach Anerkennung. Auch wenn die Dinge sich langsam ändern und das Design ins Rampenlicht rückt, wird es doch eher noch als Kunst angesehen und hat darum einen geringeren Stellenwert als die Wissenschaft.« Nun sei aber Web-Design ebenso eine Technologie wie eine Form von Kunst – und das habe Folgen.

»Die Gestalter scheinen im Moment die Aura von Macht zu genießen, die sie von Wissenschaft und Technik borgen können. Hier können sie sagen: Jetzt übe ich Macht und Kontrolle aus. Schaut, was ich schaffen kann. Ich bin nicht nur ein Künstler, sondern auch ein Ingenieur, ein Wissenschaftler … Gebt mir Respekt!« Diesen erfolgreichen neuen Designertyp verkörperten Leute wie Joshua Davis, der Schöpfer der kultigen Internet-Site www.praystation.com. Marc Cansier beschreibt ihn als Mischung von verrücktem Wissenschaftler und Rockstar.

Weiter zu Teil II


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